Wer bringt eigentlich die Geschenke?
Von Martin Schnakenberg
In keiner anderen Zeit werden so viele Geschenke verteilt als zu Weihnachten. Und das weltweit, wenn auch zu unterschiedlichen Daten. Denn Weihnachten ist nicht nur das Fest der Liebe, immer mehr ist es auch zu einem Fest des Schenkens und des Beschenkt-werdens geworden. – Doch wer bringt eigentlich die Geschenke? Nicht immer ist es der Weihnachtsmann oder das Christkind. In den verschiedenen Regionen Europas haben sich dazu sehr unterschiedliche Traditionen entwickelt.
Unser kleiner Streifzug mit ergänzenden Bemerkungen durch die Kulturgeschichte des Schenkens in der Weihnachtszeit beginnt mit dem 11. November, dem Martinstag oder »Pelzmärtel«, wie er im evangelischen Franken heißt. In Pelze gehüllt und mit Ketten umgürtet, zieht der Heilige mit seinem finsteren Knecht Krampus von Haus zu Haus und hängt, wenn die Kinder artig waren, einen mit allerlei leckeren Süßigkeiten gefüllten Strumpf an die Tür. Erinnert werden soll dabei an die Legende vom heiligen Martin, der am Stadttor auf einen nackten Bettler traf und diesem die Hälfte seines Mantels schenkte. In der folgenden Nacht erschien Martin die Christusgestalt, eingehüllt in eben diese Mantelhälfte, die er dem Bettler überlassen hatte. Daraufhin ließ Martin sich taufen und gründete in Ligugé bei Poitiers das erste gallische Mönchskloster. Im Jahre 371 wurde er zum Bischof von Tours gewählt.
Natürlich ließ sich mein damals noch 10-jähriger Sohn die Legende um den Mantel nicht entgehen, um »gefährliche Fragen« zu stellen, die in einen Dialog a la »Papa, Matze hat gesagt…« gepasst hätten. Ihm war es zumindest schleierhaft, warum der Heilige nur die Hälfte seines Mantels verschenkt hatte. Und dann die unweigerlich folgende Frage: »Der war total nackt? Und welche Hälfte hat er verschenkt, unten oder oben?« – Herausgekommen ist nach dem Gespräch, dass diese Legende zwar fromm, aber totaler Blödsinn ist. Denn sogar Jesus war ja erschienen, just in der einen Hälfte des Mantels, um diesem Gnom von heiligem Martin zu zeigen, wie bescheuert doch sein Tun gewesen war. Aber diese Erkenntnis würde wiederum die ach so schöne kirchliche Struktur vollends aus dem Gleichklang bringen.
Wie dem auch sei, eine weitere der zahlreichen Legenden berichtet auch, was es mit der Martinsgans auf sich hat. Sie erzählt, Martin habe sich aus Bescheidenheit vor seiner Wahl zum Bischof von Tours in einem Gänsestall versteckt gehalten. Doch die Gänse hätten ihn durch ihr lautes Geschnatter verraten. Zur Strafe habe Martin diese Gänse dann allesamt braten lassen. – Etwas, was einem Nichtchristen wie mir doch sehr negativ aufstößt, denn Jesus hatte (außer in den »frommen« Legenden über seine Kinderzeit) nie von irgendeiner Strafe gesprochen, wenn ihm irgendwas nicht passte. Und wenn so einer wie der oben beschriebene Martin dann auch noch heilig gesprochen wird, dann weiß man ja, was man von den Würdenträgern der Kirche halten soll, denn solche Reaktionen von Heiligen empfinde ich als barbarisch und teuflisch.
Der 11. November ist übrigens auch der Tauf- und Namenstag Martin Luthers, dem an diesem Tag in evangelischen Gemeinden gedacht wird.
Das nächste wichtige Datum im vorweihnachtlichen Kalender ist aus Kindersicht der 6. Dezember, der Nikolaustag. Sankt Nikolaus ist zweifellos der volkstümlichste Heilige der Weihnachtszeit, um den sich die meisten Legenden ranken. In den Ostkirchen Griechenlands, Armeniens und Russlands ist er der populärste Heilige überhaupt. Doch wie ist er zu diesen Ehren gekommen? Die historischen Fakten sind spärlich. Gesichert scheint nur, dass er um 270 n. Chr. in der Hafenstadt Patara in Kleinasien geboren wurde und man ihn wegen seiner Mildtätigkeit und besonderen Frömmigkeit zum Bischof von Myra wählte. Wobei Frömmigkeit auf mehrere Arten definiert werden kann … auch die Priester, die kleine Ministranten vergewaltigen, sind fromm beim anschließenden Gebet. Aber das scheint wohl eine andere Sache zu sein. – Nun denn, Patara war damals ein wichtiges Zentrum des Apollokultes, den Nikolaus Zeit seines Lebens vergeblich auszumerzen versuchte. Die Legende besagt nun, dass Nikolaus in einem Grab aus Marmor beerdigt wurde, aus dessen »Häuptern ein Brunnen mit Öl und zu seinen Füßen ein Wasserquell« entsprang. »Und noch heutigen Tages rinnt heiliges Öl von seinen Gebeinen, das ist wider alles Siechtum…«. Naja, der Glaube soll bekanntlich Berge versetzen. – Doch nicht nur den Alten und Kranken soll Nikolaus zur Seite stehen. Der Legendenschatz, der ihn umgibt, ist so reichhaltig, dass auch die Seefahrer, die Hungernden, die Gefangenen und die Diebe Nikolaus als ihren Schutzpatron anriefen und es teilweise heute noch tun.
Besonders viele Bräuche haben sich um Nikolaus als Beschützer der Kinder entwickelt. Seit dem frühen Mittelalter finden sich zahlreiche Legenden, wie er Kinder aus größter Not befreit hat. So steht in frühen Hamburger Quellen zu lesen, dass »am St.-Nikolaus-Tag, dem Hauptfest der Hamburger Schuljugend, dieselbe nach altem Herkommen einen Bischof aus ihrer Mitte wählt«, der in der feierlichen Messe eine bischöfliche Predigt an die Erwachsenen zu halten hatte. Dabei durfte er ihnen nach dem Motiv der »verkehrten Welt« tüchtig die Leviten lesen. Begleitet von einer bunten Schar von Heiligen, Engeln, Rittern und Bürgersleuten zog er anschließend durch die Stadt und sammelte Almosen für die Armen ein. Dabei trieben sie allerlei Schabernack »zur eigenen und aller Zuschauer Ergötzung, welche in ungezählten Mengen den Zug begleiteten.« Ein Ende fand dieser Brauch, als Hamburg protestantisch wurde.

Sinterklaas und Zwarte Piet
Von dieser Tradition aus war es nur ein kleiner Schritt hin zur Rolle des Nikolaus als Gabenbringer für die braven Kinder und fleißigen Schüler. Weihnachtsmann und Christkind hielten erst weitaus später ihren Einzug in die deutschen Wohnzimmer. In Holland dagegen ist der 6. Dezember nach wie vor der große Tag, an dem »Sinterklaas« mit seinem Schimmel zum Schornstein hereinkommt und seine Gaben in die bereitgestellten Holzschuhe verteilt. Von Delfzijl aus setzt er dann mit einem Boot über den Dollart nach Emden und erfreut auch die ostfriesischen Kinder. Der Weihnachtsabend selbst aber wird beschaulich im Familienkreis gefeiert.
In Deutschland ist es heute der Heilige Abend, dem die Kinder erwartungsvoll entgegen blicken, wobei hier unterschiedliche regionale Prägungen festzustellen sind. Während im süddeutschen Raum das Christkind und der Nikolaus die traditionellen Gabenbringer sind, hat sich im mittel- und norddeutschen Raum der Weihnachtsmann als Mischung aus Nikolaus und Gottvatergestalt etabliert.
Im Zuge der Reformation hatte man mitsamt allen anderen Heiligen auch den Nikolaus »abgeschafft«. Nach Vorstellungen Martin Luthers sollte nun das »Christkind« die Geschenke bringen, wobei dieses aber nicht mit dem Jesuskind in der Krippe gleichzusetzen ist. Die Vorstellung des Christkinds als engelsgleiche Erscheinung stammt vielmehr aus weihnachtlichen Umzugsbräuchen und Krippenspielen, bei denen häufig eine Engelsschar von einem Christkind angeführt wurde. Über die Entstehung dieser Figur berichtet Alexander Tille Ende des 19. Jahrhunderts: »In Hamburg erschien im 18. Jahrhundert Kinjees (Kind Jesu) und der Klingelgeist Klinggeest. Noch um 1820 kam hie und da der Brauch vor, den Kindern abends durch ein heimliches Klingeln mit kleinen Glöckchen die bevorstehende Ankunft Christkindchens zu verkündigen.«
Im 19. Jahrhundert wurden im protestantischen Norddeutschland Christkind und Klinggeest durch den Weihnachtsmann verdrängt. Vorbild war die Figur des »Herrn Winter« aus dem »Münchner Bilderbogen« des Malers Moritz von Schwind (1804–1871). Er zeichnete eine Gestalt mit Kapuzenmantel, hohen Stiefeln, langem weißem Bart und einem Kerzenbäumchen unterm Arm. Diese Figur passte so genau zu der damaligen bürgerlichen Vorstellung eines gütigen Gabenbringers, dass sie ihren Siegeszug rund um den Globus antrat. Im Zuge der zunehmenden Kommerzialisierung des Weihnachtsfestes ist sie zur wichtigsten Werbefigur im Weihnachtsgeschäft geworden und beginnt auch das in Süddeutschland immer noch bedeutsame Christkindl zu ersetzen.

Brennendes Sonnenrad zum Julfest
Doch wer bringt in anderen Ländern die Geschenke? Skandinavische Weihnachten sind bis heute von zwei Traditionslinien geprägt: die einheimische des Julfestes, der alten bäuerlichen Ernte- und Mittwinterbräuche, und die relativ junge rund um Weihnachtsmann und Weihnachtsbaum, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus Norddeutschland importiert wurde.
Erster Höhepunkt der Weihnachtszeit ist in Schweden, aber auch in Teilen Frieslands und Angelns, das Luciafest (Lucia von lat. = Lux, Licht) am 13. Dezember, an dem sich das älteste Mädchen der Familie als Luciakönigin verkleidet. Geschmückt mit einem Haarkranz aus Preiselbeerzweigen, in denen brennende Wachskerzen befestigt sind, geht es herum und serviert den anderen Familienmitgliedern Kaffee und Safranbrot. Man könnte meinen, dass es sich hier um einen alten Volksbrauch im Zusammenhang mit der Mittwinternacht handelt, doch scheint es erwiesen, dass auch diese Tradition erst im 19. Jahrhundert über die soziale Oberschicht in Schweden Fuß fasste. Es wird angenommen, dass die Lichtergestalt der Lucia ihren Ursprung im elsässischen Christkind hat, das den gleichen Lichterkranz als Kopfschmuck trägt.
Erinnert werden soll im Elsass und Teilen Italiens an diesem Tag an die heilige Lucia, eine mildtätige Jungfrau aus Syrakus in Sizilien, die bis zu ihrem Märtyrertod um 300 n. Chr. keusch geblieben war. In der christlichen Tradition des Nordens verkörpert sie dann die Lichtgestalt, die die dunklen Gestalten der Geister und Hexen, die in der längsten Nacht des Jahres zur »wilden Jagd« ansetzen, vertreibt. Am Heiligen Abend bringt dann der »Jultomte« seine Geschenke. Tatkräftig unterstützt wird er von den Heinzelmännchen, den »Tomtebisse«. In Island wiederum kennt man dreizehn koboldartige Gesellen, die an den dreizehn Tagen vor Weihnachten auftauchen und deren Aufgabe darin besteht, jedem Kind Zeugnis über sein Betragen abzulegen. War es artig, findet es jeden Tag eine kleine Überraschung in seinen Schuhen auf dem Fenstersims, wenn nicht, gibt es nur Kartoffeln.

Der heutige Weihnachtsmann und Santa Claus der Kinder
Im angelsächsischen Raum, in den USA und Australien ist es Santa Claus, der mit seinem Rentierschlitten um die Welt saust und die Geschenke durch den Kamin in die aufgehängten Strümpfe verteilt. Entstanden ist er etwa zeitgleich mit dem deutschen Weihnachtsmann, und auch sein Äußeres hat er von dort mitgebracht. Die Rentiere wiederum sind eine skandinavische Beigabe. Besonders das rotnasige Rentier Rudolph erlangte durch einen Weihnachtssong von Clement Clark Moore Berühmtheit. In den Einkaufszentren der Städte beginnt Weihnachten bereits am 1. November. Die Geschäfte werden mit allem geschmückt, was die Herzen der Kunden höher schlagen lässt. Schaufenster verwandeln sich in kitschige Märchenwelten und die ganze Stadt wird ausgiebig beleuchtet. Gigantomanie ist eben auch an Weihnachten alles in den USA. In Irland dagegen besteht die schöne Sitte, am Weihnachtsabend Kerzen ins Fenster zu stellen als Einladung für alle, die wie einst Maria und Josef obdachlos und hungrig sind.
Am längsten müssen die Kinder in Spanien und Italien auf ihre Geschenke warten. Hier kennt man traditionellerweise weder Weihnachtsmann noch Weihnachtsbaum. Der Heilige Abend wird mit einem ausgelassenen Familienfest gefeiert, im Norden Spaniens mit einer speziellen Navidad-Paella, zu dem auch die weit entfernten Verwandten anreisen. Um 24 Uhr beschließt man in Spanien den Abend mit »la Misa del Gallo«, sinngemäß die »Messe vor dem Krähen des Hahnes«. Am 6. Januar ist dann der große Tag für die Kleinen: Die Heiligen Drei Könige ziehen in die Dörfer ein und bringen Geschenke. In vielen Orten wird dieser Tag mit prachtvollen Umzügen gefeiert, bei denen Kaspar, Melchior und Balthasar auf waschechten Kamelen durch die Straßen reiten und von einem bunten Gefolge begleitet werden.
In Italien ist dagegen eine Hexe für die Gaben zuständig. Diese Befana ist aber eine gute Hexe, die in der Nacht vom 5. auf den 6. Januar auf ihrem Besen von Haus zu Haus fliegt und die Kinder beschenkt. Ihr Name ist vermutlich vom Fest Epiphanias abgeleitet, das an eben diesem 6. Januar stattfindet. Der Legende nach hatte die Hexe von den Hirten die Botschaft von der Geburt Jesu gehört. Aber sie ist zu spät aufgebrochen und verpasste daher den Stern, der sie zur Krippe führen sollte. So ist sie immer noch auf der Suche nach dem Jesuskind und macht sich jedes Jahr zur gleichen Zeit auf den Weg und bringt allen Kindern Geschenke, in der Hoffnung, dass eines der Kinder der kleine Jesus ist.
So unterschiedlich in den einzelnen Ländern Weihnachten auch gefeiert werden mag, es sind doch immer wieder die gleichen Rituale, die die Christen auf der ganzen Welt verbinden. Erinnert werden soll überall auf der Welt an die Geburt Christi, der als »Geschenk Gottes« auf die Welt kam. Und darüber sollten auch die immer mehr bekannt werdenden Missetaten, Betrügereien, Schandtaten und sogar teuflische Gebaren der Kirche und ihren Oberen, aber auch die immer größer werdende Geschenkeflut in unserer entchristlichten Zeit, nicht hinwegtäuschen.
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Siehe auch das nordeuropäische Julfest, die Wilde Jagd und den Artikel »Du lieber, heiliger Nikolaus«, woher der größte Teil dieses Artikels stammt. Interessant ist auch der Besuch des Weihnachtsmann-Dorfes.
Eine Danksagung muss unbedingt erfolgen an die Autoren der Wikipedia, die in allen Ländern Wissenswertes zusammengetragen haben und an meine Lieblingsredaktion von TimeLife Groningen, die mit ihrer Buchreihe »Spektrum der Weltgeschichte« erstaunlich vieles zum Wissen der Welt beitrugen. Ein herzliches und bewunderndes Chateau an diese Autoren.
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Interessanter Artikel vom Blog ›Heut schon gedacht?‹: Ich wünsche allen ein glückliches neues Jahr 2012 …
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Nachtrag vom 06.12.2011 aus der Emder Zeitung: Kinder hatten keine Angst vor den Swarten Pieten!
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