„Wir werden legal betrogen“
Dieses nachfolgende Interview mit dem Foodwatch-Chef Thilo Bode wurde von Daniel Baumann von der Frankfurter Rundschau geführt. Ich habe es ausnahmsweise mal komplett reingestellt, weil sich das Interview so dermaßen spannend liest, dass ich es ungerne unterbrechen möchte. Im Gegenzug revanchiere ich mich und bringe nach Abschluß des Interviews einige interessante Links zu eben dieser Zeitung.
Warum gehts in diesem Interview? – Ganz klar um unsere Nahrung. Dass billig nicht unbedingt schlecht sein braucht und teuer nicht unbedingt gut, wissen wir inzwischen und vergleichen auch schon aktiv. Aber die Versprechungen der Lebensmittel-Industrie und deren Lügen auf den Mogelpackungen werden immer dreister. Auf einer Pizza wollen wir nunmal echten Käse haben – und keinen Analogkäse, der aus Fett hergestellt wurde. Mein „Kasseler“ soll aus einem Stück Fleisch bestehen – und kein Formfleisch aus Resten.
Der Verein Foodwatch e.V. bemüht sich schon sein Jahren, solche dreisten Werbeschwindel aufzudecken, mit wachsendem Erfolg. Hier also das Interview in voller Länge:
Herr Bode, Gelschinken, Analogkäse aus Speiseöl, Garnelenimitate und Eiscrème, ohne Crème. Warum lassen sich die Verbraucher das von der Lebensmittelindustrie bieten?
Es liegt schlichtweg daran, dass das erstens legal und zweitens für den Verbraucher nicht erkennbar ist. Wir reden bei Lebensmitteln ja vom sogenannten legalen Betrug. Die Konzerne halten alle Vorschriften ein, aber die sind halt viel zu lasch. Bei Tiefkühlpizzen kann beispielsweise problemlos suggeriert werden, dass echter Käse drauf ist, tatsächlich ist es oft nur Analogkäse. Oder eine Suppe „ohne Geschmacksverstärker“ enthält zwar kein Mononatriumglutamat, dafür aber Hefeextrakt. Der wird zwar nur deshalb eingesetzt, weil er Glutamat enthält und geschmacksverstärkend wirkt, gilt aber laut Gesetz als Zutat. Das ist legaler Betrug.
Sie versuchen seit acht Jahren, das Essen der Deutschen zu retten. Wie weit sind Sie denn gekommen?
Es ist ein schwieriger Kampf. Foodwatch geht es darum, die Rechte der Verbraucher zu stärken. Wir müssen uns darauf verlassen können, dass wir im Supermarkt gute und gesunde Produkte bekommen. Das ist eine Mindestvoraussetzung, die man in einer Demokratie für die tägliche Ernährung verlangen kann. Auf der rechtlichen Ebene sind wir da kaum vorangekommen.
Aber der Verbraucher hat doch Macht, er stimmt mit jedem Einkauf darüber ab, welche Produkte er haben möchte, und welche nicht.
Der Verbraucher hat keine Macht. Das ist eine Illusion. Er stimmt natürlich jeden Tag im Laden ab. Aber wenn er nicht weiß, was in den Produkten drin ist und wie sie hergestellt werden, dann weiß er auch nicht, worüber er abstimmt. Die Verbraucher müssen sich organisieren. Und das versuchen wir. Seit wir vor zwei Jahren angefangen haben, in einer Serie die schlimmsten Lebensmittelbetrügereien vorzustellen, hat sich was geändert. Die Verbraucher empören sich und schreiben den Herstellern eindrucksvolle Briefe, zum Teil wurden deshalb schon Produkte verändert. Das ist natürlich toll.
Wie verändert sich unser Essen?
Es gibt einen klaren Trend: Die Hersteller wollen uns immer mehr Produkte mit einem gesundheitlichen Zusatznutzen verkaufen. Das Werbeversprechen wird aber meistens nicht eingelöst. Bestes Beispiel ist Actimel: Jeder normale Naturjoghurt stärkt die Abwehrkräfte ähnlich gut. Und dann stellen wir eine permanente Verschlechterung der Fertigprodukte fest. Es werden immer mehr Aromen, Zusatzstoffe, Geschmacksverstärker, Konservierungsstoffe, Farbstoffe und Antioxidationsmittel eingesetzt. Das nimmt wirklich rapide zu.
Warum?
Es verringert die Kosten.
Gelschinken und Analogkäse werden hergestellt, weil sie billig sind. In Deutschland wird für Lebensmittel so wenig Geld ausgegeben wie in kaum einem anderen europäischen Land. Befördern die Verbraucher die Entstehung von Billigprodukten?
Das unterschiedliche Preisniveau von Deutschland und anderen Ländern liegt in erster Linie an der Einzelhandelsstruktur. Wir haben pro Kopf mehr Verkaufsfläche, dadurch einen härteren Preiskampf und Discounterstrukturen, wie es sie in keinem anderen europäischen Land gibt – deshalb sind die Lebensmittelpreise in Deutschland wesentlich niedriger als in anderen europäischen Ländern. Das ist also der Grund für die niedrigeren Ausgaben, nicht der Geiz der Verbraucher. Hinzu kommt, dass der Verbraucher völlig berechtigt zum billigsten Produkt greift, wenn er Qualitätsunterschiede nicht erkennen kann.
Wo ist das Elend am größten? Bei den Discountern, den normalen Supermärkten, in den Delikatessenläden?
Ich merke keinen großen Unterschied. Wenn sie in teuren Luxusgeschäften auf die verpackten Gänseleber-Pasteten gucken, was da für ein Zusatzstoffcocktail drin ist, da kommt ihnen das pure Grausen. Und sie finden im Discounter Produkte, die von sehr guten Marken kommen, die aber unter Handelsmarken vertrieben werden, zum Beispiel Schokoladen.
Teure Produkte sind also nicht bessere Produkte?
Der Preis ist im Lebensmittelhandel kein Indikator für gut oder schlecht. Teuer ist nicht automatisch gut, und billig nicht automatisch schlecht. Sie können sich zum Beispiel eine teure Mövenpick-Marmelade kaufen. Da steht drauf, dass die Königin der Erdbeeren verwendet werde. Drin ist aber die ganz ordinäre Erdbeere Senga Sengana, die für alle Konfitüren verarbeitet wird. Das ist ein typisches Beispiel, wie mit Markennamen und Werbung dem Verbraucher etwas untergejubelt wird.
Sind die Menschen nicht naiv, wenn sie glauben, dass die Extraportion Milch den Kinderriegel gesund macht?
Ich glaube nicht, dass die Menschen so naiv sind. Aber es gibt viele Produkte, die so viel Zucker enthalten, dass sie eigentlich als Süßigkeiten deklariert werden müssten, bei denen es der Verbraucher aber nicht erwartet – wie zum Beispiel Frühstücksflocken oder Müsli.
Der Zuckergehalt steht auf jeder Zutatenliste.
Die Angaben zu den Nährwerten sind sehr kompliziert. Wer den Dreisatz nicht beherrscht und nicht so gut Lesen und Schreiben kann, versteht sie nicht. Und die Zutatenliste sagt häufig wenig über die die Qualität eines Produktes aus. Zum Beispiel eben, weil Hefeextrakt nicht als Geschmacksverstärker deklariert werden muss.
Wie kann sich der Verbraucher vor schlechten Produkten schützen?
Er ist relativ machtlos angesichts der Situation. Wenn das Gesetz vorsieht, dass man ganz legal Geschmacksverstärker einsetzen darf, ohne sie als solche zu bezeichnen, oder wenn eine Fruchtcremefüllung keine Spur von Frucht enthalten muss, dann müssen die Gesetze geändert werden. Der Weg führt nur über die grundlegende Veränderung der Spielregeln.
Warum erfüllt der Staat die Erwartungen nicht, die der Verbraucher in ihn hat?
Das erschüttert uns auch jeden Tag. Der Staat sieht die Verbraucherpolitik als Kuschelthema und agiert in erster Linie als Dienstleister der Industrie. Das beste Beispiel ist die Nährwertkennzeichnung. Unsere Umfragen haben ergeben, dass 70 Prozent der Menschen gerne eine Ampel-Kennzeichnung haben wollen, die ihnen anzeigt, ob ein Produkt viel oder wenig Zucker, Fett oder Salz enthält…
…und trotzdem ist die Ampel-Kennzeichnung seit einigen Wochen politisch tot.
Formal ist sie noch nicht politisch tot, aber die Chancen gehen gegen Null. Das EU-Parlament hat sich gegen die Ampel entschieden, ganz im Sinne der Lebensmittelindustrie, die eine Milliarde Euro in ein Gegenmodell investiert hat. Nun muss sich noch der Ministerrat damit beschäftigen, aber ich mache mir keine großen Hoffnungen mehr. Es ist ein Problem, dass die Lebensmittelpolitik zu fast 100 Prozent in Brüssel gemacht wird – fernab von der Bevölkerung. Trotzdem: Die Probleme bestehen weiterhin. Und wenn die Verbraucher unwissend große Mengen von Zucker oder Geschmacksverstärkern konsumieren, dann muss die Gesellschaft für die gesundheitlichen und finanziellen Schäden bezahlen.
Welches Zeugnis stellen sie denn Ministerin Ilse Aigner (CSU) aus? Sie ist in Deutschland federführend und wird auch im Ministerrat vertreten sein.
Wer auch immer an der Spitze dieses Klientel-Ministeriums ist, vertritt die Interessen der Lebensmittelindustrie. Der Staat hat es fast zum Prinzip erhoben, zunächst immer die Position der Lebensmittelindustrie zu verteidigen – wider besseres Wissen. Vor zwei Wochen haben wir zum Beispiel bekannt gemacht, dass in Fleischverpackungen oft Sauerstoff enthalten ist, damit das Fleisch außen auch dann noch schön rot und frisch aussieht, wenn es innen schon ranzig ist. Das Ministerium hat reflexartig abgewiegelt und gesagt, es gäbe kein Problem. Erst als wir es mit den Untersuchungen des staatlichen Max-Rubner-Instituts konfrontiert haben, wurde ein Expertengespräch einberufen. Insofern ist es für uns ziemlich irrelevant, wer da oben an der Ministeriumsspitze sitzt.
Wie bitte? Sie können doch ohne die Ministerin keine Veränderung der Gesetzeslage erzielen!
Wenn der Druck aus der Bevölkerung zunimmt, der Unmut steigt, dann bewegt sich auch die Politik – aber erst dann.
Was muss sich ändern?
Der Industrie schwebt ja vor, dass die Kinder Werbekompetenz erlernen sollen, dass man ihnen also beibringt, wie sie Verbrauchertäuschung entlarven können. Das ist nicht unser Ansatz. Wir wollen schlichtweg Transparenz, Transparenz, Transparenz. Der Verbraucher muss wissen und erkennen können, was er kauft.
Daran hat die Industrie kein Interesse.
Die Industrie reagiert insgesamt ziemlich dumm. Sie verweisen auf den mündigen Verbraucher und darauf, dass die Unternehmen die Gesetze einhalten. Die Konzerne haben immer noch nicht kapiert, dass legal noch lange nicht richtig sein muss. Als die Umweltbewegung die chemische Industrie angegriffen hat, weil sie giftige Abfälle in die Flüsse geleitet hat, hat die chemische Industrie gesagt: Ist doch alles legal. Heute ist es illegal. Und die Nahrungsmittelkonzerne machen denselben Fehler.
Aber das zu ändern ist doch Aufgabe des Staates.
Genau. Und wir unterstützen ihn dabei.
(Quelle Interview: Daniel Baumann)
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