Handel für den Wohlgeruch
Von Martin Schnakenberg
Einen langen Weg hatten sie hinter sich, als sie endlich den Stall erreichten. Der helle Stern hatte ihnen die Richtung gewiesen. Ehrfürchtig knieten sie nun vor der Krippe mit dem Neugeborenen nieder und übergaben den Eltern ihre Geschenke für das Kind: Weihrauch, Gold und Myrrhe. So überliefert das Matthäusevangelium die Weihnachtsgeschichte. Warum brachten die drei „Könige“ aus dem Osten ausgerechnet diese Geschenke?
Gold galt als das angemessene Geschenk für einen König. Weihrauch hingegen, der in religiösen Riten verbrannt wurde, war für einen Priester bestimmt. Das Jesuskind wurde so als der neugeborene König und der nächste Hohepriester Israels geehrt. Myrrhe war neben seinem Duft vor allem auch als Heilpflanze bekannt – dieses Geschenk erhob Jesus zudem zum von Gott gesandten „Heiland“.
.
Wie aber konnten Weihrauch und Myrrhe solch hohe Bedeutung erlangen?
Bethlehem lag um die Zeitenwende an der Weihrauchstraße, die neben der Seidenstraße, die Rom mit China verband, die zweite große kulturelle Brücke zwischen Orient und Okzident darstellte. Über 3000 km war der Handelsweg, auf dem die Düfte des Orients transportiert wurden. Die Hauptroute begann im heutigen Oman und führte zunächst nach Westen in den Jemen, von dort aus etwa küstenparallel zum Roten Meer weiter in Richtung Jordanien, Palästina und Syrien, und dann zur See an den Küsten Kleinasiens, der Peloponnes und Italiens entlang bis nach Rom. Von etwa 600 v.Chr. bis 500 n.Chr. profitierte der gesamte Mittelmeerraum, aber auch Ägypten und Mesopotamien und Indien von einem weiträumigen Kulturaustausch.
Die wichtigsten Güter, die hier gehandelt wurden, waren Weihrauch und Myrrhe, zwei Harze, die beim Verbrennen den so charakteristischen Duft freisetzen. Heimisch sind die Bäume mit mehreren Arten hauptsächlich in Südarabien und Ostafrika. Beide Harze wurden und werden bis heute nicht nur wegen ihres Aromas geschätzt, sondern aufgrund ihrer desinfizierenden Wirkung auch als Heilmittel genutzt. „Typisch arabischen“ Duftölen und Parfums verleihen sie noch heute ihren Charakter. Ein weiteres Handelsgut war arabischer Balsam, der ebenfalls aus einem Pflanzensekret gewonnen wurde. Im Alten Testament (Jeremias) wird er „Salbe von Gilead“ genannt; die Königin von Saba soll der Legende nach Salomo Balsam geschenkt haben, und medizinisch wurde er von den Römern und Griechen gegen Schlangenbisse und Vergiftungen verwendet. Daneben fanden durch die Weihrauchstraße Safran, Zimt und andere Gewürze und Edelsteine aus Indien und Südostasien ihren Weg zum Mittelmeer.
.

Weihrauch: Vorkommen und Handelsstraßen
Schätzungen zufolge soll allein das Römische Reich um die Zeitenwende einen Jahresbedarf von etwa 1500 Tonnen Weihrauch gehabt haben – knapp die Hälfte der Gesamtproduktion!
.
Wie aber konnte sich die Nachfrage in der römischen Hauptstadt so stark entwickeln, dass dafür ganze Karawanen mehrere Monate lang reisen mussten?
Ganz einfach: Rom stank!
Wenn es regnete, watete man auf den ungepflasterten Straßen knöcheltief im Kot. Mehrere Flüsse trugen das Abwasser und die Abfälle der Stadt in den Tiber. Die „Cloaca Maxima“, eine der ältesten Abwasserkanäle der Welt, begann als offener Kanal – der einen beißenden Geruch verbreitete. Das änderte sich nicht, als er mit Steinplatten abgedeckt wurde. Wenn dann auch noch der Tiber über seine Ufer trat, staute sich die unangenehme Brühe in die Kanäle zurück. Und da Rom für damalige Verhältnisse rasend schnell wuchs, wurden neue Stadtteile erst Jahrzehnte später an die Kloake angeschlossen. Müll, Abwasser und Gestank waren ein Dauerproblem im alten Rom.
So entwickelten sich die Badekultur Roms sowie eine große Nachfrage nach den Wohlgerüchen des Orients. Heimische Düfte galten als „plebejisch“, als billig – umso teuer wurden die orientalischen Düfte gehandelt: Für ein Pfund Balsam (etwa 327 Gramm) musste ein Landarbeiter vier, für Weihrauch 20 Tage lang arbeiten. Für ein Pfund Safran hätte er gar den Lohn von 80 Tagen hinblättern müssen.
Bald wurden in allen Stadtteilen Roms öffentliche Bäder eingerichtet. Hier flüchteten sich alle Bevölkerungsschichten vor dem allgegenwärtigen Mief, um sich mit Ölen und Balsams einreiben und massieren zu lassen – Seife kannte man damals noch nicht. Wer sich den Luxus leisten konnte, verbrachte den ganzen Tag im duftenden Bad und legte sich eine private Duftsammlung an. Gingen Seuchen in der Stadt um, bekämpfte man sie ebenfalls mit Düften, da man glaubte, dass diese die Poren daran hinderten, „den in der Luft befindlichen Peststoff anzunehmen“, wie Herodion im 2./3. Jahrhundert n.Chr. schreibt.
.
Bereits bei den alten Ägyptern waren solche Waren beliebt: Ihre Toten mumifizierten sie mit duftenden Ölen und Balsams; und unter der Königin Hatschepsut (15. Jahrhundert v.Chr.) hatte man wohl vergebens versucht, Weihrauchbäume im Nildelta heimisch zu machen: Ihren Göttern huldigten die Ägypter mit Räucherwerk – eine Tradition, die über den Römischen und Griechischen Götterglauben bis ins Christentum Eingang fand: Auch die Kirche benötigte den Weihrauch aus dem Morgenland (die katholische sogar heute noch).
.

Die nabatäische Felsensstadt Petra im heutigen Jordanien war ein wichtiger Kreuzungspunkt der Weihrauchstraße (Bild: Stefan Volk aus de.wikipedia.org)
.
Die Weihrauchstraße wurde wahrscheinlich im 10. Jahrhundert v.Chr. erstmals genutzt. Einen Aufschwung erlebte der Weihrauchhandel erst nach der Entstehung der Königreiche Saba, Hadramaut, Qataban und Ma‘in in Südarabien sowie des Königreichs der Nabatäer im Ostjordanland – etwa ab dem 8. Jahrhundert v.Chr. Durch den Handelsweg begannen sich diese Reiche kulturell zu entfalten. Antike Autoren berichten, dass Kamelkarawanen für die rund 3400 km zwischen Dhofar und Gaza 100 Tage unterwegs waren. Um eine so lange Strecke durch Wüsten- und Hochgebirgslandschaften bewältigen zu können, sind zwei Voraussetzungen zu gewährleisten: Transport und Ernährung – und genau darin liegt die kulturelle Leistung der antiken Völker Südarabiens.
Mitte des 2. Jahrtausends v.Chr. wurde das Kamel domestiziert. Erst durch den Einsatz dieses Lasttieres wurde es den Karawanen möglich, in der Wüste die langen Strecken von Oase zu Oase zu bewältigen. Zudem schufen die Araber ein für damalige Verhältnisse hochmodernes Bewässerungssystem, sodass sich eine Vielzahl von Staudämmen und Bewässerungskanälen entlang der Weihrauchstraße hinzog. Erst die landwirtschaftliche Erschließung des Lands ermöglichte das Wachstum der Städte und damit die kulturelle und wirtschaftliche Blüte der Weihrauchstraße. Der berühmteste antike Staudamm ist wohl der Damm von Marib, dessen Bruch 572 n.Chr. das Ende des Königreichs von Saba besiegelte.
Der Grund für den Niedergang der Weihrauchstraße war aber ein anderer – der Wandel der Transportwege. Im 1. Jahrhundert v.Chr. hatten die ptolemäischen Herrscher Ägyptens den Seeweg durch das Rote Meer erschlossen und waren in den Weihrauchhandel eingestiegen. Kamelkarawanen wurden so nach und nach von Schiffen abgelöst, die alten Handelswege verloren ihre Bedeutung und die südarabischen Reiche ihre wirtschaftliche Grundlage. Zu den neuen Herren des Jemen schwangen sich die Himjariten auf, die sich, abseits der Weihrauchstraße, ebenfalls auf den Seehandel sowie die Landwirtschaft im Gebirge konzentrierten. Zudem verringerte sich die Nachfrage nach Weihrauch, desto erfolgreicher sich der Islam ausbreitete: Für rituelle Handlungen wurde das Harz nicht mehr benötigt. Die Erschließung des Seewegs um das Kap der Guten Hoffnung nach Indien durch die Portugiesen im 16. Jahrhundert bedeutete das endgültige Aus für den antiken Handelsweg.
Die Römer nannten das Herkunftsgebiet des Weihrauchs Arabia felix – das glückliche Arabien.
Heute sind die einst so begehrten Rohstoffe Südarabiens kaum mehr gefragt – andere Rohstoffe dominieren den Welthandel, an denen der Jemen kaum einen Anteil hat. Obgleich er aber zu den ärmsten Ländern der Welt gehört, kann er sich noch immer glücklich schätzen: Das kulturelle Erbe der Weihrauchstraße beeindruckt mit Ruinenstätten wie Marib und Sirwah, den Hauptstädten des sabäischen Reiches, und kann in der Altstadt von Sanaa nachempfunden werden, die aus westlicher Sicht wie keine andere das pulsierende Lebensgefühl einer alten arabischen Stadt vermittelt. Auch im Ostjordanland hinterließ die Weihrauchstraße ihre Spuren – die nabatäische Felsenstadt Petra mit ihren atemberaubenden Monumentalfassaden. Sanaa, Petra und zahlreiche andere Stätten entlang der Weihrauchstraße gehören heute zum UNESCO-Weltkulturerbe und kurbeln abermals die Wirtschaft an – die Fremdenverkehrs-Wirtschaft.
.
.
Weiterführungen und Hinweise:
Erklärung, was Weihrauch ist
Wikipedia-Artikel über die Weihrauchstraße (fast so gut, wie dieser hier)
Alle weiteren Daten und Informationen sind der TimeLife-Buchreihe „Spektrum der Weltgeschichte“ entnommen.
.