…Blödheit ist gesundes Volksempfinden
Ein Artikel von Desparada-News
In gewisser Weise hat Sarrazin recht: Das deutsche Volk verkommt und verblödet, aber auf etwas andere Art und Weise, als er es beschrieben hat. Die Jagd nach Besitz, Geld und Macht hat ihre Spuren hinterlassen, der Drill aller Bürger hat sie ausgerichtet, da blieb keine Zeit für Feinheiten. Jede Abweichung von der vorgegebenen Linie wird als Schwäche gebrandmarkt, da traut sich kein Mensch mehr fast heraus mit Nachdenklichkeit.
Die gehässige, unterworfene Gesellschaft, in der es keine echte Ebenbürtigkeit zwischen Menschen mehr gibt, schlägt zu und zurück. Diese Gesellschaft kennt nichts anderes mehr, als Macht – beherrscht werden oder selber herrschen, dazwischen ist nicht mehr viel. Dahinter jedoch versteckt sich jene Feigheit, welche die eigene Ohnmacht nicht zugeben kann, die den Schmerz des doch unterworfenen Seins nicht wahrhaben will. Alles Lebendige, Andere ist Gefahr, also wird es erstickt, niedergetrampelt, vernichtet. Von Sarrazin lassen sich die Zustimmer ihre Ängste bestätigen und hätscheln, aber bitte, als Stärke kaschiert,- während sie die kümmerlichen Reste ihrer Identität in Gewaltsamkeit gegenüber den Verachteten verstauen.
Das alles sei Realität, was Sarrazin schreibe, sagen sie. Sarrazin verachtet sogar jene, bei denen er arbeitet, und sein Realismus, der so bereitwillig bestätigt wird, ist die Kriegserklärung gegenüber dem Menschsein. Es mag für geistig gesund erklärt werden, – als sogenanntes „gesundes“ Volksempfinden,- und doch ist es auch eine Form des Wahnsinns. Egal, wie unpersönlich alle sich gebärden mögen, – wie sehr es vom menschlich Alltäglichen abgetrennt wurde,- es ist persönlich.
Während die Ängste gehätschelt werden, wird Sarrazin zum neuen Gott, zum Guru des angeblich Verschwiegenen. Doch dieser Gott und Guru ist nicht ausserhalb jener, die ihm huldigen. Das ganze ausgemachte Göttliche an seinen Thesen ist in allen selber. Sie sind dabei, die Tyrannei neu zu etablieren,- nichts und niemand sonst, auch jene nicht, die den Weg dazu bereiten. Es wäre die Aufgabe jedes Einzelnen, die Tendenz zur Tyrannei auch dann zu bekämpfen, wenn sie im Gewand des angeblich Richtigen und Wichtigen daherkommt,- greade dann, wenn sie so wohlfeil und opportun erscheint.
Nein, man will nicht mehr verstehen, schon gar nicht jene anderen, die als Sündenböcke längst ausgemacht wurden. Barmherzigkeit war hierzulande schon immer eine fragwürdige Sache, das angebliche Mitleid – auch jenes von Christen – oftmals tödlich. Alle wollen Maschinen sein, die mit Bildung als Schmiermittel auf Knopfdruck funktionieren. Die Autonomie, die angeblich damit erreicht werden soll, ist keine. Wo alle gleichgeschaltet werden, gibt es keine, und eine echte Wahl gibt es dabei auch nicht.
Die Deutschen wollen die Chance nicht, sich gegen die alten Gespenster aufzulehnen,- im Gegenteil, es ist so, als wollten sie diese sofort wieder haben. Viele stimmen in das Geschrei mit ein, ohne je selber wirklich gelebt zu haben, als ureigenes Selbst. Was für Sarrazin gilt, das gilt auch für alle anderen Zujubler: Wider den Stachel zu löcken macht noch keinen Menschen.
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